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Social Founder Seraina Soldner: «Komfort macht uns lethargisch»

Als Co-Geschäftsführerin von SINGA Switzerland unterstützt Seraina Soldner Migrantinnen und Migranten dabei, in der Schweiz eine neue Existenz aufzubauen. Wieso ihre Klienten ihre grösste Inspirationsquelle sind und warum ihr eigener Stolz ihr manchmal im Weg steht, erzählt die 32-Jährige im Interviewformat «12 Frauen, 12 Fragen»

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Sereina Soldner Neu

Spread the love! Ehrlich sein – vor allen auch mit sich selbst – ist für Social Entrepreneur Seraina Soldner das Wichtigste.

Marlies Seifert

Vor und nach ihrem Studium der Internationalen Beziehungen in Genf absolviert Seraina Soldner diverse Stationen im Ausland. Eine diplomatische Karriere ist vorgespurt, dann kommt alles anders: Sie bekommt das Angebot, eine Organisation in der Schweiz aufzubauen. Die Idee ist da, die Geldgeber auch – also springt sie ins kalte Wasser. Heute – vier Jahre später – steht die 32-Jährige an der Spitze von SINGA Switzerland und unterstützt Migrantinnen und Migranten beim Aufbau einer eigenen Firma.

Woher nimmt sie ihren Drive und welchen Satz möchte sie in einem Business-Meeting nie mehr hören? Wir haben der Sozialunternehmerin 12 Fragen gestellt.

Sereina Tee

Mit einem Chai Latte startet Seraina Soldner in den Tag.

Marlies Seifert
1) Was sind deine Grundsätze als Unternehmerin?

Das Wichtigste ist, authentisch zu sein – auch wenn es unbequem wird. Ehrlich sein – nicht nur gegen aussen, sondern auch mit sich selbst. Mir fiel es früher schwer, Hilfe anzunehmen. Ich habe einen grossen Stolz, was die Dinge nicht immer einfacher macht. Zuzugeben, dass ich irgendwo nicht weiter weiss, war anfangs richtig schlimm für mich. Mir ging es dabei sogar körperlich schlecht! Inzwischen habe ich aber gelernt, mir Unterstützung zu holen. Ich mache Coachings und lasse mich in den verschiedensten Bereichen, von Kommunikation bis Finanzen, unterstützen. 

2) Welche Menschen inspirieren dich?

Am meisten inspirieren mich die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Über die Hälfte unserer Gründerinnen und Gründer sind Frauen, viele haben einen Fluchthintergrund. Sie kommen aus aller Welt und bauen hier mit Herzblut und Engagement etwas Neues auf – egal, wie schwierig es ist. Die eigenen Kinder sind für sie die grösste Motivation. Zudem kommen viele aus Ländern, die eine viel stärkere Unternehmerkultur haben, da es dort schwieriger ist, eine Anstellung zu finden. Ich glaube, Komfort, wie wir ihn in einem reichen Land wie der Schweiz haben, kann auch lethargisch machen.

 

3) Wie triffst du schwierige Entscheidungen?

Das ist sehr unterschiedlich. Teils fälle ich Entscheide impulsiv, oft überlege ich aber auch ein paar Tage und frage andere Leute um Rat. Im Geschäftlichen stimme ich mich immer mit meiner Co-Geschäftsführerin ab. Im ersten Moment ist es vielleicht etwas mühsamer und es dauert länger, wenn man gemeinsam eine Lösung finden muss, aber am Ende sind die Entscheidungen nachhaltiger und ausbalancierter. Meine Geschäftspartnerin hat eine sehr direkte Art. Von ihr habe ich gelernt, nicht um den heissen Brei zu reden. Klare Kommunikation ist eine der wichtigsten Fähigkeiten. Ich finde, das sollten wir schon in der Schule lernen.

12 Frauen, 12 Fragen – in Partnerschaft mit Toyota Hybrid

Sie haben eine Vision, denken quer und scheuen sich nicht vor grossen Herausforderungen. 2020 stellen wir im Interview-Format «12 Frauen, 12 Fragen» jeden Monat eine erfolgreiche Unternehmerin in der Schweiz vor, die uns mit ihrer Power, Eigenständigkeit und Innovationsfreude inspiriert – Werte, denen sich auch Toyota mit seiner weltweit führenden Hybrid-Technologie verschrieben hat. 

4) Welcher Moment oder welche Person hat deine Karriere definiert?

Der Motor für all meine Karriereentscheide war mein stark ausgeprägter Gerechtigkeitssinn – und den habe ich schon seit meiner Kindheit. Auch dass ich irgendwann etwas Eigenes aufbauen möchte, war irgendwie immer schon klar. Da hat mich mein Umfeld aber sicher geprägt. Mein Vater ist Kinderarzt, unsere Nachbarn waren Unternehmer, Kindergärtnerin, Musiker – sie alle hatten eine intrinsische Motivation für ihren Beruf. Das hat in mir den Wunsch geweckt, mit meiner Arbeit nicht einfach nur Geld zu verdienen, sondern etwas bewirken zu wollen. 

5) Wann war ein Tag für dich erfolgreich?

Für mich ist es wichtig, dass sich etwas bewegt. Dass am Ende des Tages etwas anders ist, als am Morgen beim Aufstehen. Ich möchte das Gefühl haben, dass ich mit meinem Team gut gearbeitet habe und dass wir vorwärts gekommen sind. Mit ist es deshalb wichtig, dass Arbeitsprozesse nicht ständig unterbrochen werden. So kann man sich ungestört zu einem Thema Gedanken machen – und im Idealfall jeden Tag etwas Neues lernen.

6) Was ist dein Rat an Frauen mit einer guten Business-Idee?

Für eine Firmengründung braucht es nicht nur eine gute Idee, sondern auch gute Leute. Ich bin fest davon überzeugt: Man kann zwar alleine etwas anreissen, aber um es umzusetzen, braucht es die Gemeinschaft. Deshalb haben wir uns auch einen Coach geholt, um das Team richtig aufzubauen und unsere Talente richtig einzusetzen. In der männerdominierten Startup-Szene ist dieser Ansatz jedoch nicht so weit verbreitet. Ganz viele Unternehmen scheitern am Anfang wegen dem Zwischenmenschlichen. Darüber redet nur keiner.

Sereina Soldner Buch

Dieses Buch hat Seraina Soldner von ihrem Vater bekommen. Es begleitet sie auf all ihren Reisen und inspiriert sie jeden Tag.

Marlies Seifert
7) Wie lädst du deine Batterien auf?

Damit es mir wirklich gut geht, brauche ich jeden Tag eine Stunde für mich. Die nutze ich, um Klavier zu spielen, Yoga zu machen oder einen Film zu schauen. Das erste Jahr bei SINGA war hart, weil diese Zeit mit mir selbst zu kurz kam. Fehlt mir die Balance, mache ich keinen guten Job und behandle die Menschen um mich herum nicht so, wie ich das gerne möchte.

8) Was würdest du machen, wenn du pro Tag eine Stunde mehr Zeit hättest?

Briefe schreiben! Das mache ich jetzt schon zu Geburtstagen oder Weihnachten, aber ich würde es gerne noch öfter tun. Ich bin dann ganz bewusst bei einem Menschen, schenke ihm meine Gedanken und meine Zeit. Und es macht Spass! 

9) Was ist deine persönliche Superpower?

Meine Hartnäckigkeit. Ich gebe nicht so schnell auf und habe einen recht langen Atem. Ich glaube, dass Hartnäckigkeit bei Frauen anders interpretiert wird als bei Männern. Wenn ein Mann auf etwas besteht, wird ihm das als Stärke oder Durchsetzungskraft ausgelegt. Mich hat diese Eigenschaft oft weitergebracht, aber ich merke auch, dass ich damit anecke.

Sereina Soldner office

Gearbeitet wird im Coworking Space im Herzen von Zürich.

Marlies Seifert
10) Wann hast du das Letzte Mal an dir gezweifelt?

Ich zweifle fast jeden Tag an mir und frage mich ständig, ob meine Arbeit gut genug ist: Habe ich den richtigen Tonfall erwischt? Hätte ich irgendwo jemandem mehr Zeit geben müssen? Ich finde es wichtig, dass man sich selber nie zu sicher ist, und ich hole mir auch gerne Feedback aus dem Team ein. Wenn man als Leader betrachtet wird, wird von einem erwartet, dass man stets eine Lösung parat hat. Menschen können Unsicherheit nicht gut ertragen. Aber manchmal wärs vielleicht besser, wenn man einfach ehrlich ist und sagt: Ich habe keine Ahnung. 

11) Welchen Satz möchtest du in einem Business-Meeting nie mehr hören?

«Schauen wir mal» oder «wir bleiben in Kontakt» – diese Unverbindlichkeit nervt mich! Konkrete Feedbacks wären hilfreicher, auch wenn es vielleicht eine deutliche Absage ist. Mir fällt auf, dass man in internationalen Teams oft klarer kommuniziert, weil der kulturelle Hintergrund unterschiedlich ist und man deshalb weniger davon ausgeht, dass das Gegenüber schon weiss, was gemeint ist.

12) Wo steht dein Unternehmen in fünf Jahren?

Wachstum und vor allem Wirkung sind mir wichtig. Inzwischen haben wir fünf Angestellte und zwei Büros – eines in Genf und eines in Zürich. Die Idee wäre, weitere Standorte aufzubauen, zum Beispiel im Tessin. Momentan sind wir noch auf Sponsoring angewiesen. In fünf Jahren möchte ich, dass wir stärker als Dienstleister etabliert sind und noch mehr öffentliche Kunden haben. Ich bin davon überzeugt, dass es unsere Arbeit braucht. 

Von Marlies Seifert am 14. Dezember 2020 - 05:09 Uhr